Vorab: Dieses Buch ist in Englisch geschrieben und enthält so viel Text, dass es nur für Lerner geeignet ist, die Englisch grundsätzlich problemlos lesen können. Die musikalischen Fachausdrücke werden erklärt, die lernt man so nebenbei. Aber die Alltagssprache muss man beherrschen.
Noch 'ne Vorbemerkung: Ich hatte vor langer Zeit, im Gymnasium, schon zwei oder drei Jahre Geigenunterricht. Der mir den Spass am Geigenspielen erst mal gründlich verdorben hat (das war vor Mitspiel-CDs und Pop-Hits für Geige). Auch jetzt habe ich nicht den Ehrgeiz, klassischer Violonist zu werden - ich ziele auf Folk-Fiddle. (Weshalb ich meiner Geige auch eiskalt einen Fiddle Fretter aufgeklebt habe - gibt's in Kanada.) Deshalb habe ich nicht gezögert, mit dem Buch ohne Lehrer wieder anzufangen.
Jetzt zum Buch: Es geht in ganz, ganz kleinen Schritten vor (wie aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich - danke an Thomann für die ausführliche Vorschau). Was den Vorteil hat, dass man sich auf Bogenführung und einen schönen Ton konzentrieren kann - ich habe das Gefühl, dass ich zwar langsam, aber sicher Fortschritte mache. Der Nachteil ist, dass man am Ende des Buchs noch nicht alle Noten in der ersten Lage spielen kann - man braucht den zweiten Band dazu (ich habe ihn mir gerade bestellt).
Die Musikbeispiele sind eine Mischung aus Folk und Klassik (am Anfang stark vereinfacht - man spielt nur ein paar Noten zur Begleitung) - von Kinderliedern bleibt man verschont. Was mir noch auffällt, ist dass Themen behandelt werden, von denen ich in meinem Unterricht nie gehört hatte ("harmonics" und mit einem Finger zwei Saiten greifen habe ich bis jetzt entdeckt) und auch Vibrato wird viel früher eingeführt (im 2. Band, gleich nachdem alle Fingerpositionen behandelt sind). Ansonsten erarbeitet man sich langsam Finger für Finger und Note für Note (welche Note zu welchem Finger gehört, und wie sie genannt werden - also Notenlesen - lernt man so nebenbei. So man sich die Namen merken kann, sie werden nur am Anfang des Kapitels erwähnt.)
Musiktheorie wird in die Lektionen (die ich übrigens nicht als Tages- oder Wochenpensum verstehe - ich spiele, so lange ich Lust habe) eingearbeitet, Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Sie nimmt aber nicht so viel Platz ein, dass sie lästig würde, wenn man sich schon ein bisschen auskennt.
Für mich ist das die mit Abstand beste Geigenschule für Erwachsene, die ich gefunden habe (ich habe auf deutsch, englisch und französisch gesucht). Man kann sich streiten, ob der Versuch, Geige ohne Lehrer zu lernen überhaupt sinnvoll ist (wobei nichts dagegenspricht, dass Geigenlehrer das Buch auch verwenden), aber ich denke, wer absolut keinen Lehrer will, der hat mit diesem Buch zumindest eine Chance.
Also alles perfekt? Nicht ganz, einen kleinen Kritikpunkt habe ich: An einigen Stellen verweist das Buch auf Online-Videos. Und das finde ich grundsätzlich nicht gut - wenn ich ein Buch kaufe, dann will ich alles Material in diesem Buch (und beigelegter CD oder DVD) haben. Sonst suche ich gleich im Internet...
Aber angesichts der vielen Pluspunkte fällt dieser kleine Haken nicht weiter ins Gewicht...