Das Viscount Legend `70s Artist W wird von mir ausschließlich im Studio genutzt. Ergänzend zu den Basismodulen E-Piano und Sound Collection erwarb ich die Module A-Piano, Expanded Master und Synth-8. So viel vorweg: Das Digitalpiano, das zunächst nur als hübsches „Stehrümchen“ für gelegentliche Rhodes-Einlagen im Aufnahmeraum gedacht war, avancierte schnell zu meinem Lieblingskeyboard...
Für den ersten positiven Eindruck sorgt die präzise, angenehm gewichtete Holztastatur. Dabei gefällt nicht nur deren Abstimmung auf die internen Sounds, auch PlugIns à la Pianoteq, Keyscape & Co. lassen sich damit wunderbar differenziert spielen.
Die per „physical modelling“ generierten Sounds des E-Piano Moduls sind hinsichtlich Dynamik und Authentizität äußerst überzeugend. Genau das hatte ich erwartet – nicht jedoch, dass ebenso die Klänge des Sample-basierten A-Piano Moduls genau meinen Geschmack treffen würden. Darüber hinaus brilliert das AP-Modul in puncto Vielseitigkeit: Ob klassisch, romantisch, jazzig oder rockig, für jeden Einsatzzweck findet sich ein passender Flügelklang hoher Güte, der zudem mit wenigen, aber effektiven Parametern ruck zuck noch passender gemacht werden kann – damit ist der persönliche „Signature-Sound“ (besonders in Kombination mit dem EP-Modul) stets in Reichweite. Einziger Ausreißer ist ein gruseliges Honky Tonk Piano, doch das verzeiht man den Viscountlern gern.
Mit dem Modul „Expanded Master“ wird aus dem Digitalpiano ein komfortables Masterkeyboard. Zwar sind die MIDI-Funktionen bereits im Basisinstrument integriert, doch erst dieses Modul bietet dedizierte Potis, die beliebigen MIDI CCs zugeordnet werden können, womit sich etwa Orchester Libraries auch ohne externe Hardware (Fader) adäquat steuern lassen. Hier seien auch die überraschend gut zu handhabenden Pitch- und Modulationsräder erwähnt, die mir deutlich besser gefallen als z.B. die der NI Keyboards (bei denen man ständig den dusselig positionierten Expression-Strip versehentlich verstellt).
Das Basismodul „Sound Collection“ wird wohl niemanden vom Hocker reißen, dennoch sind die gebotenen Brot-und-Butter-Sounds eine praktische Zugabe. Dafür, dass Viscount mit die besten B3-Clones produziert, sind die hier gebotenen Hammond-/Leslie-Sounds allerdings erstaunlich fad (dass Viscount damit Bedarf für ein künftiges Tonewheel-Modul schaffen will, ist freilich reine Spekulation x'D). Dagegen sind z.B. die A- und E-Bässe gut einsetzbar, ebenso einige der Pads, zumal sich Cutoff, Attack- und Release-Zeiten im Direktzugriff regeln lassen. Wer das A-Piano Modul nicht hat, kann hier außerdem auf 2 passable Flügelsounds zurückgreifen, die zumindest im Bandkontext ihren Zweck erfüllen.
Dem Clavinet zog ich das m.E. vielseitigere Synth-8 Modul vor. Die subtraktive Synthese des Moduls ist überschaubar parametrisiert, die Bedienung über die Bedienfeldmatrix problemlos. Experimentellem Sounddesign sind damit freilich Grenzen gesetzt, doch für Flächen-, Bass- und Leadsounds ist man allemal gerüstet. Obendrauf gibt's einen Arpeggiator mit den üblichen Funktionen und sogar einen Step-Sequenzer, dessen Programmierung sich mir allerdings noch nicht erschlossen hat. Alles in allem ein gut klingender, virtuell analoger Synthesizer, der sich vor so manch überschätztem und überteuertem „Vintage-Schätzchen“ nicht verstecken braucht.
Auch im Studio freut man sich, zügig Sounds kombinieren und wesentliche Parameter steuern zu können, ohne sich durch unzählige, bunte Menüs kämpfen zu müssen. Gleiches gilt für die flexible Zuordnung der im Übrigen sehr vernünftigen On-Board-Effekte. All dies gelingt dank weitgehend selbsterklärendem Bedienkonzept intuitiv und sogar während des Spiels. Der externe Editor (Win/Mac) vereinfacht die Programmierung und Organisation eigener Presets nochmals, ferner erfolgen hierüber Einstellungen tiefer gehender Klangerzeugungsparameter.
Fazit: Das Viscount Legend `70s Artist W fühlt sich im besten Sinn wie ein Musikinstrument an – es zu spielen, macht Spaß! Dass auf dem hochwertig verarbeiteten Gehäuse außerdem jede Menge Krimskrams (Synthie, Laptop, Noten, Kaffeetasse, Aschenbecher...) Platz findet, versprüht überdies nicht nur nostalgischen Charme, sondern ist auch ungemein praktisch. Wer also solide Hardware mit erstklassigen Rhodes- und Flügelklängen samt durchdachtem Bedien-/Designkonzept sucht, sollte die Medienpräsenz der gängigeren Mitbewerber nicht überbewerten und das Viscount-Teil unbedingt mal unter die Lupe nehmen!